Meine Reise zum Ätna, dem aktivsten Vulkan Europas
Vorbereitungen für zwei Tage in völlige Autonomie
Wir sind eine Gruppe von neun Leuten plus der Organisatorin, der Vulkanforscherin und Fotografin Ulla Lohmann und dem ortsansässigen Führer Gino Moschetto, der mit seinem Tatendrang, seiner Hilfsbereitschaft und der nie enden guten Laune, unermüdlich für gute Stimmung innerhalb der Gruppe sorgen wird. Wir treffen uns vor Ginos Laden in Trecastagni. Hier werden Schlafsäcke, Matten, Wasserflaschen, Snacks für unterwegs und Gerichte, die lediglich mit heißem Wasser aufgegossen werden müssen, auf die Teilnehmer verteilt. Denn während unserer Wanderung werden wir zwei Nächte in unbewirtschafteten Schutzhütten verbringen. Da es nicht jedermanns Sache ist, mit vielen Menschen in einem Raum zu schlafen, entscheiden sich einige von uns dafür, zusätzlich ein kleines Zelt auf ihren Rucksack zu schnallen.
Ein Kleinbus bringt uns anschließend zum Ausgangspunkt unserer Wanderroute, entlang der Pista Altomontana, einem schönen Weg, der sich auf einer Höhe von 1400 bis 2000 Metern und einer Länge von 37 Kilometern auf der Westseite des Vulkans von Süden nach Norden erstreckt. Auf dieser Seite des Vulkans gibt es den größten Ätna-Wald und auch viele Krater, Tunnel und erkaltete Lavaströme zu entdecken. Schon auf dem Parkplatz fällt auf, dass wir uns auf dieser Route eher abseits der Touristenströme bewegen. Denn die meisten, der jährlich etwa eine Million Ätna-Besucher aus aller Welt, besteigen den Berg von der Südseite her. Dort gibt es auch eine Seilbahn, welche die Vulkan-Besucher, bis auf eine Höhe von 2500 Metern bringt.
Kochen auf 2000 Metern Höhe - eine Herausforderung
Kleine Räuber mit Vorliebe für Leder
Der Ätna ist keine leblose Steinwüste
Der Weg weist keine nennenswerten Steigungen auf und stellt daher keine große Herausforderung dar. So können wir unsere Aufmerksamkeit auf die Umgebung lenken und diese beeindruckt uns nicht nur durch herrliche Ausblicke und interessante Lavaformationen, sondern auch durch ihre Vegetation. Denn der Ätna bietet einen idealen Lebensraum für eine Vielzahl an Tieren und Pflanzen und ist Heimat von einigen endemischen Arten. Diese machen etwa zehn Prozent der Pflanzenarten der Insel aus, von denen, aufgrund des, für die Jahreszeit noch ungewöhnlich milden Wetters, sogar noch einige blühen.
Eine dieser endemischen Arten ist der Ätna-Ampfer (Rumex aetnensis), den wir überall am Wegesrand entdecken. Wir sehen während unserer Wanderung auch viele 30 bis 60 Zentimeter hohe polsterförmige Grünpflanzen. Sie sehen weich aus und laden zum Ausruhen ein. Sich darauf niederzulassen kann jedoch zu einer schmerzhaften Erfahrung werden, da die Kissen des Astragalus siculus lange Stacheln besitzen. Von den Führern am Ätna werden sie deshalb auch als Schwiegermutterkissen bezeichnet. Im Italienischen heißt die Art Spini Santi, Dornen der Heiligen. Ihre Polsterform schützt die Pflanze vor Kälte, übermäßiger Austrocknung und Wind.
Auch der Ätna-Ginster (Genista aetnensis), den wir auf unserer Wanderung überall sehen, ist eine auf Sizilien und Sardinien endemische Pflanze. Er blüht von Juni bis Juli leuchtend gelb und verströmt dabei einen wunderbaren Duft. Bis zur Gründung des Ätna-Parks hat man aus dem Holz des Ginsters Holzkohle und Besen hergestellt, außerdem wurden seine blühenden Zweige verwendet, um Wolle oder Seide gelb einzufärben.
Auch mein persönlicher Favorit, die Ätna-Birke, die mit ihren weißsilbrigen, glatten Stämmen, einen auffälligen Kontrast zum schwarzen Lavagestein bildet, findet sich nur hier. Ihre schneeweißen Stämme reflektieren die Strahlung und schützen so den Baum im Sommer vor Überhitzung auf dem sich rasch erwärmenden schwarzen Lavaboden. Übrigens sind alle Pflanzen im Naturpark des Ätna geschützt. Denn 1987 wurde ein Gebiet von etwa 580 Quadratkilometer rund um den Vulkan zum Regionalpark Parco dell’Etna erklärt.
Wie auf der Lava neues Wachstum entsteht
Allerdings dauert es einige Zeit, bis auf der Lava wieder etwas wachsen kann. Einer meiner Reisegefährten, der sich in seiner Freizeit intensiv mit Pflanzen beschäftigt und von fast jeder nicht nur den deutschen, sondern auch den lateinischen Namen kennt, erklärt uns, dass es etwa neun bis zehn Jahre dauert, bis auf der Lava neues Leben entsteht. Als erstes beginnen Moose und Flechten sich darauf anzusiedeln. Sie fördern die Verwitterung der Lava und bilden neue Biomasse, auf der anschließend andere Pflanzen gedeihen können. Eine der ersten, ist der bereits erwähnte Lavaginster. Als Pionierart bereitet er den Boden für andere, anspruchsvollere Pflanzen vor. Erst nach Jahrzehnten wächst wieder ein Wald. Daher lässt sich mit Hilfe der Pflanzen, die auf einem Lavastrom wachsen, auch gut dessen Alter abschätzen. Man sieht inmitten der schwarzen Lava auch immer wieder Vegetationsinseln, die zwischen zwei Armen eines Lavastromes, erhalten geblieben sind und gute Fotomotive abgeben.
Weil Ulla und Gino uns so viel über den Vulkan und seine Besonderheiten erzählen und wir, als begeisterte Hobbyfotografen, auch alles mit unseren Kameras festhalten wollen, erreichen wir unsere nächste Unterkunft, das Rifugio Monte Spagnolo erst, als die Sonne die Landschaft bereits in goldenes Abendlicht taucht. Ich bin froh, dass diese Schutzhütte, die idyllisch mitten im Wald liegt, vier Doppelstockbetten bietet, wir die einzigen Gäste sind und sie deutlich kleiner ist, als das erste Rifugio. Denn so sorgt das entfachte Feuer rasch für angenehme Wärme. Das Abendessen besteht aus Nudelsuppe und anschließend Kartoffelbrei, wahlweise mit Tunfisch oder einer Bolognese-Sauce und schmeckt deutlich besser, als die Polenta vom Vorabend, die mir noch immer schwer im Magen liegt. Ich merke jetzt deutlich mein Schlafdefizit und ziehe mich in meinen Schlafsack auf der oberen Etage eines der Doppelstockbetten zurück. Die Gespräche der anderen und das gleichmäßige Knistern des Feuers im Ohr, dauert es nicht lange, bis ich einschlafe.
Spuren dramatischer Ereignisse
Am nächsten Morgen treten wir – gut ausgeschlafen – die letzte Etappe unserer Wanderung an. Unterwegs eröffnet sich uns ein herrlicher Blick auf das, an der Nordwest-Flanke des Ätna gelegene Städtchen Randazzo, mit seinem historischen Zentrum und den zahlreichen mittelalterlichen Kirchen und anderen Denkmälern. An die umliegenden Hänge schmiegen sich kleine Dörfer, auf einer Anhöhe drehen sich einige Windräder. Ulla erzählt uns, dass sich hier vor mehr als vierzig Jahren einer der heftigsten und zerstörerischsten Ausbrüche in der jüngeren Geschichte des Ätna ereignet hat.
Es war der 17. März 1981, als sich kurz nach 13.30 Uhr Dutzende von kleinen Schloten entlang einer Reihe von kurzen Rissen, hoch oben an der Nordflanke des Berges öffneten. Dieses Spaltensystem breitete sich in den kommenden Stunden über eine Gesamtlänge von acht Kilometern aus. Das alles passierte in einer Schnelligkeit und Heftigkeit, wie es für den Ätna, der eigentlich als „freundlicher Vulkan“ gilt, außergewöhnlich war. Denn der Ätna explodiert nicht, wie andere Vulkane, sondern lässt sporadisch Druck ab. Wie das Beispiel Radazzos zeigt, kann aber auch das gelegentlich gefährlich werden. Denn während sich eine gewaltige Lavaflut außergewöhnlich schnell die Flanke des Ätna hinunterwälzte, öffneten sich neue eruptive Schlote und schließlich brach auf einer Höhe von nur 1235-1115 Metern eine neue Spalte auf, aus der kleine Lavaströme Richtung Stadt flossen. Der gesamte Hang des Vulkans über der Stadt schien zu brennen. Erst am 19. März begann sich die Situation allmählich zu beruhigen und am Abend des 23. März war der Spuk dann endgültig vorüber. Nach Schätzungen wurden zwischen 18 und 30 Millionen Kubikmeter Lava ausgestoßen, fast das gesamte Volumen während der ersten 40 Stunden des Ausbruchs. Dennoch gab es glücklicherweise keine Todesfälle. Von unserem Standpunkt aus, können wir noch immer erkennen, welchen Weg die Lava damals genommen hat.
Lavaströme, die durch Eruptionen längs aufreißender Spalten entstehen, sind typisch für den Ätna. Im Laufe einer solchen Eruption reißen diese Spalten zumeist nach unten zu, wie ein Reißverschluss, immer weiter auf. Mit Ausnahme der, auf den Gipfelbereich beschränkten Dauertätigkeit des Vulkans, waren nahezu alle historischen Ausbrüche an solche Eruptionsspalten gebunden. Diese können nur einige hundert Meter, aber auch bis zu mehreren Kilometern lang sein. Durch die relativ dünnflüssige Lava gibt es am Ätna eine unter den festlandseuropäischen Vulkanen einmalige Erscheinung, die Lavagrotten. Sie entstehen durch einen an seiner Oberfläche schnell abkühlenden Lavastrom, während die heißen Gesteinsmassen in seinem Inneren weiter abfließt. So entstehen Tunnel, die eine Länge von mehreren hundert Metern erreichen können. Eine dieser Lavagrotten, die 112 Meter lange Grotta di Schadlish, sehen wir uns an diesem Tag auch von innen an. Sie liegt etwas abseits des Hauptweges und wurde im Jahr 2000 entdeckt.
Zurück in der Zivilisation
Zum Sonnenuntergang ins Valle del Bove
Nachdem wir den Vormittag in Randazzo verbracht haben, fahren wir, ausgerüstet mit Stirnlampen und Helmen, ins Valle del Bove. Zwischen den Ätna-Birken kämpfen wir uns auf dem Vulkansand mühsam dieses hufeisenförmige Kesseltal nach oben. Es fühlt sich an, als würde man eine Sanddüne hochlaufen, man macht zwei Schritte vorwärts und rutscht einen wieder zurück. Aber oben angekommen, werden mit einem grandiosen Ausblick auf den Gipfel des Vulkans belohnt. Die untergehende Sonne taucht die Dampfwolken, die der Ätna ausstößt, in orangefarbenes Licht. Im Tal sieht man, wie langsam die Lichter in den Küstenorten angehen, über dem Meer steht der Mond. Wir schießen Fotos, bis es dunkel ist. Dann geht es wieder nach unten. Unser nächstes Ziel ist die Höhle von Serracozzo. Dank ihrer besonderen Struktur und den Lichtstrahlen, die durch eine Öffnung in der Decke der Höhle in ihr Inneres fallen, ist sie eine der faszinierendsten Grotten des Vulkans. Da wir sie im Dunkeln besuchen, ersetzen wir das Tageslicht einfach durch eine Taschenlampe, mit der Gino von oben in die Höhle leuchtet. Ziemlich durchgefroren, aber glücklich, fahre ich mit den anderen zurück in die Unterkunft, wo wieder ein sehr leckeres drei Gänge-Menü und guter Wein aus der Region auf uns warten. Als ich zwei Tage später zum Flughafen fahre, ist der Gipfel des Ätna schneebedeckt. Ich werfe noch einen letzten Blick auf diesen magischen Berg, bevor es wieder zurück ins herbstliche München geht und nehme mir fest vor, wiederzukommen…
Was Sie über den Ätna wissen sollten
Der Ätna, den die Sizilianer auch „Mongibello“ nennen, ist momentan rund 3350 Metern über dem Meeresspiegel der höchste daueraktive Vulkan Europas. Seine Höhe bleibt jedoch naturgemäß nicht konstant. Er ist seit 100.000 Jahren aktiv und wird es auch noch Millionen von Jahren bleiben. Der geologische Grund ist eine Kontinentaldrift. Denn hier schiebt sich die afrikanische Kontinentalplatte unter die europäische. Der gigantische Vulkan besitzt vier Gipfelkrater: den Hauptkrater, den Krater Bocca Nuova sowie den Nordost- und Südostkrater, wobei der Südostkrater in den letzten Jahren mit Abstand am aktivsten war. Der Ausstoß von Lava bei einem Ausbruch erfolgt aber meistens nicht über die Gipfelkrater, sondern an den Flanken des Bergkegels. Im Laufe der Jahrtausende haben sich dadurch mittlerweile mehrere hundert Nebenkrater gebildet.
Der Ätna ist jedoch auch einer, der am stärksten überwachten, Vulkane der Welt. Das Nationale Institut für Geophysik und Vulkanologie (INGV), wacht rund um die Uhr über jedes Husten des Vulkans. Aufschluss gibt der Tremor. Dieses permanente Zittern entsteht dadurch, dass ständig Gasblasen an der Oberfläche des Magmar platzen. Je höher dieses Platzen stattfindet, desto wahrscheinlicher wird ein erneuter Ausbrauch.
Übrigens ist der Ätna das südlichste Skigebiet Europas. Wintersport-Anlagen mit Liften gibt es sowohl an der Bergstation Süd als auch an der Bergstation Nord. Sie sind meist zwischen Januar und März in Betrieb. Auf der Pista Altomontana kann man, bei genügend Schnee, sogar langlaufen.
Was Sie über den Ätna wissen sollten
Empfehlenswerte Adressen:
Was Sie über den Ätna wissen sollten
Wanderführer „Sizilien“, Michale-Müller-Verlag
Der Autor Peter Amman stellt in seinem Buch 35 Touren in neun Wanderregionen mit detaillierten Wegbeschreibungen vor. Die Auswahl reicht von spannenden Expeditionen mit Kindern über Genusswanderungen bis zu sportlichen Bergtouren. Für Kinder geeignete Wanderungen sind gesondert gekennzeichnet.
204 Seiten, farbig, 100 Fotos, Karte (Leporello), 35 Detailkarten
ISBN 978-3-95654-543-6
Es ist auch als E-Book erhältlich.